Ein Kommentar zum Gewandhaus-Neubau

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Bild oben: prämierter Entwurf von Cheret & Bozic für eine moderne Bebauung der Fläche des Alten Gewandhauses

Bild unten: Visualisierung eines nach dem Vorbild des Vorkriegszustands bebauten Neumarktes (Quelle: Andreas Hummel)

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Ich halte das Architekturverständnis der Moderne für ungeeignet, um zu einer angemessenen Antwort auf die Fragen zu finden, die sich derzeit am Neumarkt – insbesondere auf dem Areal des ehemaligen Gewandhauses – auftun. Bedenken wir: Moderne Architektur greift im Kontext des großstädtischen deutschen Städtebaus seit 1945 – also seit über 60 Jahren – im wesentlichen auf jene Gestaltungsformen zurück, die der Tradition des Bauhauses entstammen. Der historische Formenkanon ist in der “Fachwelt” seit Jahrzehnten geächtet und in die Ecke des Kitsch (Stichwort “Disneyland”) gedrängt; dem historischen Erbe verpflichtete Gestaltungsformen sind – jedenfalls im Bereich der Architektur – nach wie vor in weiten Teilen Deutschlands dazu verdammt, ein klägliches Schattendasein im Bereich der Denkmalpflege zu fristen. Es legt sich aufgrund der Reduziertheit moderner architektonischer Ausdrucksformen daher von selbst nahe, dass die Sichtweisen und Beurteilungskriterien der “Fachwelt”, die sich nach wie vor überwiegend dem Erbe des Bauhauses verpflichtet fühlt, am Neumarkt nur sehr begrenzt – wenn überhaupt – anwendungsfähig sind.

Es ist daher irrig zu behaupten, dass der Neumarkt eine moderne Kunsthalle “braucht”. Dass der Neumarkt ein dezidiert modern gestaltetes Gebäude “braucht”, das als solches die bisherige gestalterische Melodie des Platzes lautstark durchbricht, mag einleuchten, wenn es darum geht, “moderne” Architektur im Sinne eines fortgesetzten Bruchs mit der Tradition zu kreieren. Bedenken wir jedoch, dass die Zeit der Bauhaus-Revolution, als es in der Tat “Mut” kostete, Neues zu wagen und Alternativen zu den traditionellen Bauformen zu finden, längst vergangen ist. Bombenkrieg und Nachkriegsbaupolitik haben die historischen Antlitze unserer Städte vergehen lassen; nun wäre ein umgekehrter Aufbruch erforderlich: Mut, sich zur Geschichte zu bekennen; Mut, den Reichtum traditioneller Bauformen neu zu entdecken (das muss nicht per se Rekonstruktion bedeuten!); Mut, die dogmatische Festgefahrenheit des gegenwärtigen Bauens zu durchbrechen. Es ist darum kein Zeichen von Mut, den Neumarkt mit einem modernen Solitär á la Gewandhaus aufzusprengen – es ist vielmehr ein Schritt der Angst: Angst vor dem Spott und der Häme der “Fachwelt”, die sich mit derselben Vehemenz gegen die Rückbesinnung auf die Tradition wehrt wie seinerzeit die Tradition gegen die Avantgarde.

Der Neumarkt ist daher der falsche Ort, um eine Revolution neu zu inszenieren, die seit über 80 Jahren Geschichte ist. Es kann am Neumarkt weder um die Bewahrung einer modernen Architekturdogmatik noch um die Befriedigung von Fachgremien oder die Beruhigung von Architekturkritikern geht. Es geht im Übrigen auch nicht um den Tourismus, zu dessen Belebung die historische Kulisse Dresdens im Sinne des viel gescholtenen “Disneylands” ausgebaut werden soll, nein: Es geht um nicht mehr und nicht weniger als eine Suche vieler Dresdner und Freunde Dresdens nach Identität.

Es gibt ein starkes Bedürfnis, sich mit seiner Stadt zu identifizieren, und viele Menschen spüren, dass das gegenwärtige Stadtbild Dresdens – aller bisherigen Stadtreparatur zum Trotz – den Reichtum der 800jährigen Geschichte dieser Stadt nicht annähernd wiedergibt. Dass in den letzten Jahren im Umfeld der Frauenkirche das historische Stadtbild – bereichert durch hochwertige, kleinteilige (!) zeitgenössische Architektur – wieder erfahrbar wird, ist im Angesicht eines in weiten Teilen modern gestalteten Zentrums für viele Dresdner und Freunde Dresdens eine geradezu körperlich spürbare Wohltat. Auf diesem Hintergrund ist es verständlich, dass viele Dresdner – mich eingeschlossen – nicht hinnehmen wollen, dass – nachdem die Mehrzahl der zentralen Plätze Dresdens (Postplatz, Wiener Platz, Pirnaischer Platz, Georgplatz u.a.) ein dezidiert modernes Antlitz tragen – auch der Neumarkt ein von der Moderne wesentlich mitbestimmter Ort werden soll. Neben dem Theaterplatz ist der Neumarkt derzeit der einzige (!) Platz in der inneren Altstadt, der einen Eindruck von dem zu vermitteln vermag, was Dresden vor 1945 ausgemacht hat. Diese Chance, ein kostbares Stück verlorener Identität wiederzugewinnen – und das hat nichts mit „Nostalgie“ oder gar „Geschichtsklitterei“ zu tun – mögen wir uns bitte nicht entgehen lassen.

Thomas Filip, im Juni 2007

One Response to “Ein Kommentar zum Gewandhaus-Neubau”

  1. Bert
    June 4th, 2007 10:25
    1

    Hervorragender Kommentar. Dem ist nichts hinzuzufügen.
    ;-)

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