Archive for January, 2007

Der Neumarkt im Spiegel der Architekturkritik

Monday, January 22nd, 2007 3:53pm

Kaum sind die ersten drei Quartiere am Neumarkt weitgehend fertiggestellt, melden sich wortgewaltig die Vertreter der professionellen Architekturkritik und verreißen – wie zu erwarten war – das ambitionierte Projekt eines Nebeneinanders von Alt und Neu am wohl bedeutendsten Platz Dresdens. Eine Ausnahme bildet dabei die „Welt“, die ihrer bisherigen Linie, Rekonstruktionen verlorener Architekturen wohlwollend zu kommentieren, treu zu bleiben scheint.

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Doch zunächst zu den Verrissen. Architekturkritiker Falk Jaeger monierte jüngst in der „Sächsischen Zeitung“, dass die Neubauten mit rekonstruierten Fassaden „keinen Charakter“ hätten: „Ihnen fehlt die wettergegerbte Haut. Ihnen fehlen die Furchen des Alters im Antlitz, die Unvollkommenheiten und die Spuren des Gebrauchs. Besonders die präzisen Dächer mit den unnatürlich exakten, aber ungenutzten Schornsteinen und millimetergenau gesetzten Gauben können die einstmals lebendige, charmant chaotische Dachlandschaft nicht simulieren.“ Während viele Befürworter einer Wiederherstellung des historischen Platzbildes argumentieren, die Moderne sei bis zum heutigen Tage den Beweis schuldig geblieben, dass sie in der Lage sei, neue und attraktive urbane Zentren auf den Ruinenfeldern der kriegszerstörten Städte zu erschaffen, kehrt Jaeger die Beweisführung um: „Wenn jemand argumentiert, man könne heutzutage mit modernen Mitteln keine Altstadt bauen, so ist am Neumarkt vielmehr der Beweis erbracht, dass man nicht in der Lage ist, dies mit historischen Bauweisen zu tun.“

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Schützenhilfe erhält Jaeger dabei u.a. von Architekturkritiker Ulrich Brinkmann; in Ausgabe 47/06 der „Bauwelt“ moniert Brinkmann v.a. die Diskrepanz zwischen der horizontalen Nutzungsstruktur der Gebäude einerseits und der nach außen suggerierten, vertikal ablesbaren Kleinteiligkeit ihrer Fassaden andererseits. So kritisiert er beispielsweise am Hotel de Saxe, „dass sich die vermeintlichen Barockfassaden als aufgebrezelte Thermohaut über Stahlbeton entpuppen und auch hier fünf Fassaden eine einzige Nutzung, ein Hotel, kaschieren“. Das Quartier an der Frauenkirche kanzelt er als „dekorierten Superblock“ ab, dessen Passageneingänge überbetont würden, während die Zugänge in die einzelnen Häuser sich „bis zur Selbstverleugnung marginalisiert“ zeigten. Zum Quartier II der VVK stellt er nüchtern fest: „Auch dieser Block birst vor Nutzfläche. […] Barockes Dresden? Die Stadt ist genügsam, und den Touristen wird’s als Hintergrund für ein Handyfoto reichen.“ Brinkmanns Fazit: „Dachlandschaften und Bebauungsdichten demonstrieren, wie unwillig sich Nutzungen der Gegenwart in altstädtische Formen gießen lassen. […] “ Was also tun? Falk Jaeger resümiert: „Die Lehre aus dem nur leidlich gelungenen ‚Quartier an der Frauenkirche’ kann nur sein, beim weiteren Bau der Straßenblöcke um den Neumarkt noch mehr architektonische Qualität einzufordern, auf die vermeintlich geschichtsträchtigen, in Wahrheit Geschichte verleugnenden, kulissenhaften Fassadenrepliken zu verzichten und auf kraftvolle, zeitgenössische Ausdrucksformen zu setzen. Die vermögen durchaus, die Wunde im Stadtkörper zu heilen und der Frauenkirche den angemessenen stadträumlichen Rahmen zu verleihen.“ Brinkmann schlägt in dieselbe Kerbe, wobei er – anders als Jaeger– keine Alternative aufzeigt; vielmehr will er den Neumarkt als Lehrstück, wie man es gerade nicht machen sollte, verstanden wissen: „Wer anderswo über Rekonstruktionen nachsinnt: am Dresdner Neumarkt könnte er Heilung finden.“

Ganz anders hingegen „Welt“-Kritiker Eberhard Straub, der bereits im Dezember 2005 die Lust am Rekonstruieren in Dresden und anderswo mit amüsierter Gelassenheit aufnahm: Während Kritiker wie Jaeger und Brinkmann verbissen den scheinbar unauflösbaren Widerspruch zwischen der modernen, großflächigen Nutzung im Innern einerseits und der kleinteiligen, historienverliebten Gestaltung nach außen anderseits anprangern, verweist Straub auf den weltfremden „Originalfetischismus“ und das „sauertöpfische“ Dazwischenreden der Denkmalpflege. Warum die Sache so eng sehen? „Hinter beliebig umgebauten Fassaden wucherte schon im spätantiken Rom ‚das Leben’ mit seinen wechselnden Bedürfnissen“, stellt Straub fest. Es spreche „nichts gegen vollständige Rekonstruktionen oder bloß der Fassaden. Zumal bei vorhandenen Plänen und Bildern der Wiederaufbau verlorener Monumente sehr viel leichter ist als im Rom des 4. oder 5. Jahrhunderts.“ Das Fazit ist für Straub eindeutig: „Her mit den reizenden Arrangements stilistischer Einmaligkeit, die ein international verwöhntes Publikum anzieht. Ob sie neu gebaut sind, frisch renoviert oder umgebaut, spielt kaum noch eine Rolle. Wer Rom, Madrid oder Wien heute besucht, kann nur staunen, wie alte Städte zu aufgeputzten ‚Werbeträgern’ umfunktioniert werden. […] Eine Altstadt muß ‚arbeiten’, Gewinne machen, also voll integriert sein in den Wettbewerb der dynamisierten Weltstädte mit authentischem Flair.“ Ein Hauch von Ironie schwingt auch in Straubs Kommentar mit, doch die Leichtigkeit, mit der er das ansonsten in verbitterten Grabenkämpfen umfochtene Thema behandelt, ist erfrischend und wohltuend.

Was Dresden im neuen Jahr erwartet (Teil 2)

Monday, January 22nd, 2007 11:00am

Auch die Prager Straße und der sich durch die seit 1990 verfolgte Strategie der Nachverdichtung ergebende Prager Platz bleiben in 2007 städtebauliche Entwicklungsschwerpunkte im Dresdner Zentrum. Die bedeutendste Wandlung in diesem Teil des Stadtbildes wird zweifellos durch den Abriss des alten Centrum-Warenhauses mit seiner markanten, wabenförmigen Aluminium-Fassade („Silberwürfel“) eingeleitet: An seiner Stelle soll ein riesiges Einkaufszentrum, die sog. „Centrums-Galerie“ entstehen – die geänderte Namensgebung (vorher: „Forum Dresden“) ist übrigens ein Beleg für die Unsicherheit von Großinvestoren bei der Positionierung ihrer Objekte im Dresdner Immobilienmarkt: Ähnliches war bei der „Prager Spitze“ am Wiener Platz zu beobachten, jenem tortenförmigen Gebäude, das von der Firma Oelschläger zunächst als „Glashaus“ vermarktet worden war.

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Die preisgekrönten Entwürfe aus der Feder Peter Kulkas für die Centrums-Galerie sollen Presseberichten zufolge mittlerweile „kräftig überarbeitet“ (SZ) worden sein, und die ursprünglich zur Wiederverwendung vorgesehenen Waben des alten Silberwürfels sollen aufgrund von Altersschwäche nun doch nicht wiederverwertet, sondern neu gegossen werden, dann allerdings nur noch den oberen Teil des Einkaufstempels schmücken. Nach Aussage des Investors soll der Abriss des bereits entkernten Silberwürfels in rund3 Wochen beginnen, zunächst wird der benachbarte, ehemalige Gaststätten-Komplex abgebrochen. Der Hochbau der neuen Einkaufsgalerie soll im September beginnen, die Eröffnung ist für spätestens 2009 vorgesehen.
Südlich der Baustelle der Centrums-Galerie wartet nach wie vor der mächtige, über 200 Meter lange Plattenbauriegel, der die Einkaufsmeile zur St. Petersburger Straße begrenzt, auf seine Sanierung – hier ein Bild aus den achtziger Jahren:
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Nachdem die Pet Shop Boys mit ihrer Aufführung von „Panzerkreuzer Potemkin“ das Gebäude im vergangenen Jahr auf spektakuläre Weise in Szene gesetzt hatten, soll der elfgeschossige, 612 Wohnungen, eine Tiefgarage sowie eine Ladenzeile beherbergende Koloss in diesem Jahr für rund 18 bis 20 Millionen Euro instand gesetzt werden.

Kommen wir zum Wiener Platz. Dieser erhält mit dem Bau des zentralen Omnibusbahnhofs sowie der Errichtung der letzten „Würfelhäuser“ – des zwei Baufelder umfassenden Intercity-Hotels sowie eines weiteren Geschäftshauses zwischen Intercity-Hotel und „Kugelhaus“ – zum Hauptbahnhof hin seine endgültigen Platzkante.

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Offen bleibt nach wie vor die Frage, wie lange das Baufeld „MK V“ noch auf seine Bebauung warten muss: Bislang war an dieser Stelle ein Neubau für die Staatsoperette vorgesehen, doch das Vorhaben ist nach wie vor im Dauergezänk der Dresdner Lokalpolitik blockiert, und schaut man sich das Tempo des politischen Prozesses bei anderen umstrittenen Projekten – etwa der Waldschlösschenbrücke oder dem Neubau des Rudolf-Harbig-Stadions – an, so besteht relativ wenig Hoffnung, dass der Platz in naher Zukunft vollendet wird.

Mit „Waldschlösschenbrücke“ ist zugleich das Stichwort für das wohl ambitionierteste Verkehrsbauwerk gegeben, dessen Neubau sich die Landeshauptstadt Dresden auf die Fahnen geschrieben hat.

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Und es ist vermutlich nicht übertrieben, 2007 als das „Schicksalsjahr“ für diese Brücke zu bezeichnen: Entweder wird man den angestrebten Kompromiss mit der Unesco finden und die Brücke dann in – vermutlich modifizierter – Form bauen, oder man wird das Vorhaben aufgrund des politischen Drucks ganz aufgeben müssen, wäre doch der Entzug des prestigeträchtigen Titels “Weltkulturerbe” ein höchst peinlicher, nicht nur für Dresden sondern die gesamte Bundesrepublik blamabler Präzedenzfall.

Während um das Verkehrsbauwerk Waldschlössenbrücke noch gerungen wird, werden an anderer Stelle bereits mit Hochdruck neue Brücken gebaut: Die Rede ist von dem Bahnviadukt zwischen Marienbrücke und dem Bahnhof Dresden-Neustadt mit seinen zahlreichen Brücken, die bedauerlicherweise ihr feingliedriges, stählernes Antlitz aus der Zeit der vorvergangenen Jahrhundertwende zugunsten betonierter Tragwerke verlieren werden. Die Maßnahme ist aufgrund des Alters und des Verschleißes der Stahlkonstruktionen einerseits verständlich, andererseits geht mit den alten Brücken ein wertvoller Akzent im Dresdner Stadtbild unwiederbringlich verloren.

Bildnachweis v.o.n.u.: Peter Kulka Architektur, Frau Inger Sørensen, nps tchoban voss, Initiative “Elbwiesen erhalten”

Was Dresden im neuen Jahr erwartet (Teil 1)

Monday, January 15th, 2007 12:15pm

2007 verspricht für Dresden ein an städtebaulichen Entwicklungen reiches Jahr zu werden. Einen Schwerpunkt bildet dabei wie auch schon in den Jahren zuvor der Bereich der inneren Altstadt mit seinen zentralen Plätzen Neumarkt, Altmarkt, Postplatz, Wiener Platz und Prager Straße/Prager Platz. Da dieses Weblog unmöglich das Planungs- und Baugeschehen in seiner gesamten Breite dokumentieren kann, beschränke ich mich weiterhin auf die Entwicklung des Dresdner Innenstadtbereichs mit obengenannten Brennpunkten.

Am schnellsten wandelt weiterhin der Neumarkt sein Gesicht: In 2007 wird der erste „Ring“ um die Frauenkirche nahezu geschlossen sein: Das im Dezember begonnene Quartier III der Baywobau dürfte bis zum Ende des Jahres im Rohbau stehen, während die angrenzenden Häuser An der Frauenkirche 16 + 17 schon im Oktober eingeweiht werden sollen. Für die „Heinrich-Schütz-Residenz“ steht der Baubeginn unmittelbar bevor. Weiterhin unbebaut bleibt lediglich das Quartier VI, wo noch in diesem Jahr ein Wettbewerb Klarheit darüber bringen soll, ob das Areal wie geplant einschließlich der umstrittenen Fläche des Alten Gewandhauses bebaut werden wird, oder ob die Baufluchten der Vorkriegssituation wieder hergestellt werden.

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Bild oben: Ein Neumarkt ohne und ein Neumarkt mit einem neubebauten Gewandhaus-Areal wären zwei grundverschiedene Plätze – unabhängig von der konkreten Gestaltung der Fassaden.

Der Wettbewerb ist ergebnisoffen – die Fläche des Alten Gewandhauses soll nur dann bebaut werden, wenn ein wirklich zufriedenstellendes Ergebnis vorgelegt wird. In der Zwischenzeit leitet an der Rampischen Straße 29 die Gesellschaft Historischer Neumarkt mit der Sicherung des vorhandenen Kellermauerwerks die Realisierung ihres Bauvorhabens ein, und am Kurländer Palais scheinen die Tage des Ruinendaseins endgültig gezählt: Auf dem Gelände finden seit einigen Tagen Maurerarbeiten statt, alles deutet auf den lang ersehnten Baubeginn hin.

Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich das Residenzschloss, das nach der Wiederherstellung des Ostflügels in seiner äußeren Gestalt nahezu vollendet ist. Nun rückt die Überdachung des Kleinen Schlosshofes nach Plänen von Peter Kulka in den Mittelpunkt: Um für Besucher eine angemessene Eingangssituation zu schaffen, wird der Kleine Schlosshof von einer filigranen Glaskonstruktion überwölbt, um so ein wettergeschütztes, zentrales Foyer für alle im Schloss beherbergten Museen zu bilden:

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Einen weiteren Höhepunkt in der Entwicklung des historischen Altstadtkerns würde die Wiederherstellung des Belvederes (unten) darstellen, eine traditionsreiche gastronomische Institution, welche bis 1945 die Brühlsche Terrasse zur Carolabrücke hin abschloss: Die Stadt hat das Grundstück in prestigeträchtiger Lage zum Verkauf ausgeschrieben und, obwohl keine direkten Vorgaben zur Gestaltung gemacht werden, doch die Richtung indirekt vorgegeben: So heißt es im Exposé u.a., man müsse „kein Prophet sein, um festzustellen, dass die Errichtung eines Belvedere V Großartiges entstehen lassen würde – einen besonderen gastronomischen Anlaufpunkt inmitten der weltberühmten Altstadt-Silhouette einerseits, die Rückkehr eines legendären, architektonischen Edelsteins in seine alte Fassung andererseits.“

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Das Vorkriegsluftbild zeigt das in Anlehnung an die Semperoper erbaute Belvedere IV in seiner exponierten Lage am Ende der Brühlschen Terrasse:

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Am Altmarkt steht der Bau der zentralen Tiefgarage bevor, an den sich eine höchst fragwürdige, steril anmutende Neugestaltung des Platzes mit einem gestalterisch abwegigen Beleuchtungskonzept (s.u.) anschließen wird.

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Erfreulich ist hingegen, dass sich für einen Teil des Brachlands an der noch unbebauten Südseite des Platzes ein Investor gefunden zu haben scheint: Zum Dr.-Külz-Ring hin soll ein Hotelneubau entstehen. Verwunderlich ist dabei, dass der Investor sein Hotel ausgerechnet zur lauten Ring-Straße hin ausrichten möchte – anstatt zur ungleich attraktiveren Platzseite.

Am Postplatz soll es nach der im letzten Jahr erfolgten Fertigstellung der Zentralhaltestelle und der damit verbundenen Platzumgestaltung nun zügig vorangehen: Die Reste des verfallenen „Freßwürfels“ sollen zugunsten des „Wilsdruffer Kubus“ verschwinden, einem gewaltigen Bürokomplex, dessen Realisierung – so hofft die Stadt – endlich den Stein ins Rollen bringen soll und andere Bauherren an diesen bislang allzu öden Platz locken soll. Während die Verengung der Wilsdruffer Straße durch den Neubaukomplex grundsätzlich zu begrüßen ist, wird die gestalterische Armut des (unverständlicherweise) preisgekrönten Entwurfs sicherlich noch für einen berechtigten, aber dann viel zu späten Aufschrei führen:

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