Ein Würfel geht, ein Kubus kommt

Am Postplatz – wichtigster öffentlicher Verkehrsknotenpunkt und zugleich größte innerstädtische Brachfläche Dresdens – ist in den letzten Jahren außer dem Bau der umstrittenen DVB-Zentralhaltestelle sowie der Installation einer hochmodernen Beleuchtungsanlage nicht viel passiert. Ob die kühnen Postplatz-Visionen von Joachim Schürmann (Sieger im städtebaulichen Wettbewerb von 1991) jemals Wirklichkeit werden würden, schien angesichts der geringen Mieter-Nachfrage mehr als 16 Jahre nach der Wende durchaus fraglich.

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Nun aber ist für den sog. “Wilsdruffer Kubus”, der gemäß Schürmanns Plan den Übergangsbereich von der Wilsdruffer Straße zum Postplatz wesentlich mitdefinieren wird, ein Hauptmieter gefunden worden: Die SAP Systems Integration AG, eine Tochterfirma von Europas größtem Softwarehersteller SAP, will in das neue Haus am Postplatz ziehen. Der bereits zu 1/3 abgerissene, mittlerweile stark verfallene “Fresswürfel” (ehemals “Gaststätte am Zwinger”) wird damit endgültig der Geschichte angehören, er soll im März 2007 abgebrochen werden. Angesichts des trostlosen Anblicks des Fresswürfels eigentlich ein Grund zur Freude – wenn da nicht der preisgekrönte Entwurf eines Leipziger Architekturbüros wäre, der hinter das ambitionierte Projekt ein großes Fragezeichen setzt:

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Befremdlich mutet der Kommentar der Jury an, die den Sieger-Entwurf vom Juni d. J. wie folgt kommentiert hatte:
“Die Arbeit überzeugt durch die Stringenz der gerasterten, angenehm richtungslosen Fassadengliederung. Der Verzicht auf eine horizontale Strukturierung des Gebäudes erzeugt eine in sich ruhende Kraft und eine wohltuende Erdung. Dieser Charakter wird durch den Sandstein unterstrichen, der durch die Aufdopplung im Bereich der Fensterbrüstungen noch betont wird. Die zweigeschossige Öffnung zum Postplatz überzeugt ebenso wie die zweigeschossige Arkade mit ihrer partiellen vertikalen Öffnung über die Dachfläche hinaus.”

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Abgesehen von einer – längst überfälligen – Verengung der Wilsdruffer Straße kann ich in diesem Entwurf keinen konstruktiven Beitrag zum Dresdner Baugeschehen im Allgemeinen und zur städtebaulichen Entwicklung des Postplatzes im Speziellen erkennen. Die Begründung des Preisgerichts erscheint abgehoben und sonderbar weltfremd. Was genau soll sich der Leser unter “angenehmer Richtungslosigkeit” vorstellen? Niemand wird ernsthaft erwarten, dass analog zum Neumarkt nun auch am Postplatz eine Rückkehr zur historischen Postkarte bevorsteht. Dass aber für einen derart sensiblen Standort – einen Steinwurf von Dresdens wertvollsten architektonischen Kostbarkeiten entfernt – ausgerechnet ein Entwurf preisgekrönt wurde, dessen austauschbare Fassade in keiner erkennbaren Beziehung zum historischen Umfeld steht, und dessen Gestalt- und Strukturlosigkeit darüber hinaus zum entscheidenden Gestaltungsmerkmal erklärt und wortgewaltig gefeiert werden, macht mich sprachlos.
Wer die Begründung des Preisgerichts im Detail nachlesen will, kann dies hier tun: http://www.baunetz.de/db/news/?news_id=82415

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Bildnachweis: Schulz & Schulz Architekten, Leipzig

9 Responses to “Ein Würfel geht, ein Kubus kommt”

  1. Rene
    October 30th, 2006 20:27
    1

    Wuchtig - und langweilig. Mehr fällt mir bei diesen Legoartigen Bauklotz nicht ein …

    Zudem ist es schade, wenn das Architektenbüro nicht einmal auf Anfragen zu diesem Kasten reagiert …

    (siehe auch bei das neue Dresden:
    http://das-neue-dresden.de/Postplatz-Wilsdruffer-Kubus.html )

  2. Jochen
    October 30th, 2006 21:22
    2

    Man hätte den “Fresswürfel” lediglich ein paar Meter nach rechts in die Wilsdruffer Str. schieben brauchen, vielleicht hie und da ein bißchen Sandstein und fertig wäre der Wilsdruffer Kubus gewesen. Mal wieder typisch, hochdekoriert und “potthäßlich”. Das Geschwafel der Jury zu ihrer Entscheidung schon allein preiswürdig. Und da beklagen sich die Avantgarde-Architekten immer wieder, daß ihre “Geistesblitze” nicht geliebt und verstanden werden. Die Schuld liegt dann aber natürlich bei den Kritikern. Ich hatte es schon mehrfach empfohlen, die Lektüre des Märchens “Des Kaisers neue Kleider” von H.Chr. Andersen. Paßt zum modernen Baugeschehen in Dresden, wie die Faust aufs Auge. Im übrigen sagt dann der Kölner : Et kütt, wie et kütt”.

  3. vitruv
    October 31st, 2006 00:44
    3

    An Hässlichkeit kaum zu überbieten. Ein erschreckend ärmlicher Bau. Also alles wie gewohnt in Dresdens Zentrumsplanung. Was du allerdings mit “Rückkehr zur historischen Postkarte” meinst, ist mir nicht ganz klar. Eine gelungene Platzgestaltung kann meiner Überzeugung nach nicht gelingen, wenn man jegliche Tradition missachtet. Dann kommt nur sowas heraus, was wir seit 1945 an modernen Platzanlagen gewohnt sind. Auch im Postplatz wurde ich mir eine Anlehnung an die historische Situation wünschen.

  4. silesianospostato
    October 31st, 2006 02:21
    4

    Wirklich schlimm - wie eine Fortsetzung der DDR-Plattenbauten. Verglichen damit gewinnt fast schon der Tesar-Riegel daneben schon an Charme… Man gibt sich wirklich alle Mühe, nicht nur gebotene Chancen zu einer guten Stadtentwicklung nicht zu nutzen, sondern auch die verbliebenden Reste Dresdens wie den Zwinger noch in Mitleidenschaft zu ziehen. Der Postplatz wird wohl derselbe ästhetische Totalreinfall wie der Wiener Platz… was kommt als nächstes? Angenehm richtungsloses Gewandhaus oder vielleicht noch eine schöne Feuertreppe als Anbau an der Frauenkirche? Vorschläge nimmt die Stadtverwaltung sicher dankend entgegen.

  5. Steffen
    October 31st, 2006 04:38
    5

    Das Legohaus wirkt auf die meisten Betrachter aggressiv störend, besonders wegen Farbe, Form und nochmal explizit erwähnt Dach, warum muß mam nicht sagen, man schaue auf die Bilder, und sehe, wer sich hier einzuordnen hat, das heißt nicht, dass man keinen eigenen Stil haben darf. Dass manche Architekten keine normale Wahrnehmung mehr haben, ist bekannt, und vielleicht schwebt ihnen manchmal eine Gesamtsituation vor, die der normale Betrachter nicht vor Augen hat, das naheliegende Historisierende wollen sie sowieso nicht, was menschlich verständlich ist, auch dass sie auch sonst zum nicht nahe Liegenden tendieren und mehr das Einzelhaus im Blick haben als Perspektiven aus der Ferne. Bei den verrücktesten Ideen muß man das alles erstmal annehmen, es sind schließlich Fachleute und man selbt keiner, sie bedenken auch vieles, woran man gar nicht denkt, hofft man zumindest, wenn sie auch den Beweis schuldig bleiben. Das eigentlich Unverschämte, nicht nur Ignorante, hier ist die Begründung, wobei Mißverständnisse von Seiten der Leser ausgeschlossen sind, und es ist auch kein kleiner Fauxpas, es ist die Offenbarung, und auch eine ungewollte Kapitulation. Der schwülstige Text ist nicht schwer zu verstehen und so fällt die komplette Hirnverbranntheit in den Aussagen ganz klar auf, was wohl nicht so gewollt war. Die Fragen nach den Motiven und dem Geisteszustand der Jury müssen erlaubt sein. Und sie müssen beantwortet werden. Wenn die Begründung nicht im Vollrausch erdacht wurde, dann ist sie um so mehr ein Skandal. Ein ausgebildeter Architekt war bisher wenigstens noch in der Lage, sich herauszureden, so dass man am Schluss sagen musste, ja, die Geschmäcker sind verschieden, schönes Material, schöne Farbe, passt, wenn man etwas verrückt ist, der Mensch gewöhnt sich an fast alles. Aber ab einem besonderen Level ist es nicht mehr zu verbergen, dass Bildung nämlich die Voraussetzung ist von Halbbildung, und hier sehen wir, wie wichtig diese Erkenntnis für die moderne Architektur ist, und wohin dies führen kann. Die meisten Grundschüler können einen besseren Entwurf zeichnen, egal ob er sich harmonisch einfügen soll oder dominant eine brechende neue Spannung erzeugen soll oder ein Jugenstilhaus kopiert. Nach drei Wochen Kunsterziehung können die das alles besser aus jeder Richtung. Man schaue sich die Bilder an, lese mehrfach langsam die Begründung, schaue nochmal auf die Bilder. Hier stellen sich weitere Fragen, die sicherlich zu klären sind. So geht es doch nicht weiter. Man sollte den Entwurf vergessen und eine neue Jury bestellen, und dann ist Weiteres zu klären. Nach welchen Kriterien wurde entschieden und warum kommt sowas dabei raus. Warum will SAP so ein Dach, diese Dominanz und was hat es gekostet. Sind da Absprachen nötig oder läuft das schon stillscheigend und der Öffentlichkeit erzählt man da gäbe es Siegerentwürfe. Wenn man sich erstmal gemeinsam offen an den Fakten orientiert, dann kann man einen kompromiss aus Ästhetik und Wirtschaftlichkeit finden, aber nicht durch Spinnen und Verarschen. Hier wurde eine Grenze überschritten, das ist eine neue Dimension, die bisher tabu war. Da ist ja die Landhaustreppe zum Preis von zwei EFH Kleinvieh dagegen. Allein schon die Farbe. Edmund Stoiber soll ein Haus malen, und das nehmen wir dann, der hat zwar einen Sprachfehler und vertauscht die Satzteile, aber es ergibt noch einen Sinn. SAP kann dort nicht leuchten, im WTC können sie leuchten. Ich habe mir die Dampferanlegestelle auf meine Elbseite legen lassen, aber ich würde niemals die Straßenbahn um ein vulgär Perwoll-Weißes Büro mit blauen Fenstern am Postplatz fahren lassen und das schön finden, nur weil es stringent meine Nähe zur Sonne widerspiegelt. Das Legohaus hat keine Aussage und gute Materialen zu nehmen hat alleinstehend keine künstlerische Qualität. Es könnte der Anfang von einem Wolkenkratzer in der 57th Avenue sein. Oder ein Schweinestall, es gibt ja auch MP3-Player aus Gold. Für den ersten Preis trete ich hiermit gegen den Siegerentwurf an. Ich habe hier so ein grünes Gefäß für Stifte mit mehreren Tubes, und das sähe auch als Haus besser aus, da kann man zwar nicht so über die Etage rennen, hat aber Sonne von allen Seiten wie im Freien und wird bei Bedarf nicht gesehen, sieht auch cool aus, dunkelgrün. Es sind sechs Tubes in sechs Höhen, teilweise höher, teilweise niedriger, so ähnlich wie das BMW-Zylinderhaus. Selbst neun Tubes wären möglich, wenn drei weitere silbern wären, und dann noch ein Teeglas daneben, jetzt sind es schon zehn, sieht wirklich gut aus und ein riesiger Speisequarkbecherquader und dazwischen die Linie 4, das wäre auf jeden Fall besser als der neue Freßwürfel, massig Platz wie gesagt, könnte sogar aus einfachen Glas sein, wenn sie Pflanzen sich reinstellen. Klingt jetzt vielleicht komisch, aber sieht wirch gut aus, auch von der Carolabrücke, da muß ich jetzt ungefähr drei Meter zurücktreten. Mit dem leuchtenden Handy in der Hand nachts. Solche Quader sind das Letzte. Symmetrie ist die Kunst der Dummen, lernt man das nicht mehr.

  6. Thomas Filip
    October 31st, 2006 13:40
    6

    @vitruv: Mit “Rückkehr zur historischen Postkarte” meinte ich, dass bspw. die Rekonstruktion des Telegrafenamtes oder der Sophienkirche, wie sie ja manche – in meinen Augen realitätsferne – Historismus-Freaks fordern, nicht ernsthaft zur Debatte stehen kann. Was allerdings eingefordert werden muss, das ist Kreativität, Farbenfroheit, Lebendigkeit der Fassaden, Abwechslungsreichtum in der Platzgestaltung – kurzum: eine gestalterische Sprache, die dem Platz ein menschliches Antlitz, Urbanität und Verweilqualität verleiht. Ich glaube nicht, dass dies immer und ausschließlich durch eine Rückkehr zur historischen Formensprachen erreicht werden muss. Eine Übertragung des Neumarkt-Konzeptes auf den Postplatz erscheint mir absurd.

  7. Jochen
    October 31st, 2006 14:58
    7

    @Thomas Filip : Die gestalterische Sprache , die menschliches Antlitz,Urbanität und insbesondere Verweilqualität eigentlich herstellen soll, wird doch durch die “Moderne” offensichtlich nicht erreicht. Siehe dazu auch jüngste Allensbach-Umfrage. Ich glaube zwar auch nicht, daß dies immer und ausschließlich durch eine Rückkehr zur historischen Formensprache erreicht wird. Man sollte jedoch die ganze Formenentwicklung nicht so rigoros “gegen” die historische Formensprache vorantreiben. Im übrigen hat es auch immer “Wiedergeburten” in der Architektur gegeben. Eine so dogmatisch und offensichtlich an den Wünschen und Sehnsüchten der Menschen vorbei agierende Architektenkaste hat es noch nie gegeben. Das wäre im Grunde nicht weiter schlimm, wenn diese Herrschaften mittlerweile nicht die gesamte “Deutungshoheit” über Stil und Qualität innehätten. Das ist der eigentliche Skandal. Der Postplatz ist nur ein weiteres trauriges Beispiel für meine These.

  8. Peter
    November 11th, 2006 16:21
    8

    Ich kann hier Jochen nur voll und ganz zustimmen. Die herrschende Architektenkaste, die über unseren Lebensraum bestimmen möchte und mit 100 Jahre altem Bauhaus-CIAM Stil schon lange nicht mehr “modern” ist, ist in ihren eigenen Widersprüchen gefangen: Sie will “funktional” bauen, und tut genau das Gegenteil.

    Jochen hat ein gutes Stichwort genannt, nämlich dass diese nach absolutistischem Prinzip herrschende Architektenkaste an den Sehnsüchten und Wünschen der Menschen vorbeiagiert. Nüchterner und wissenschaftlicher ausgedrückt hieße das: Die Architekten missachten die Nutzung ihrer Objekte. Denn die Nutzung orientiert sich logischerweise an den Nutzern, und die Zufriedenheit der Nutzer ist Indikator für den Erfolg der Nutzung eines Gebäudes.

    Das heist wiederum: Das noch heute von Bauhausmodernisten vertretene obsolote Sullivan-Dogma (”Form Follows Function”) widerspricht sich selbst; denn ist die Nutzung gescheitert, ist auch die Funktion des Gebäudes nicht erfüllt.

    Da somit auch die Funktion gescheitert ist, kann das Gebäude nicht “funktional” sein, auch wenn die Bauhäusler nicht müde werden dies zu behaupten. Form und Funktion mögen in der Natur kausal bedingt sein, nicht jedoch zwangsläufig auf gleiche Weise im künstlerischen Schaffen des Menschen. In der Phantasie des Menschen gibt es Formen, die weder mechanische Funktion haben noch aus einer solchen Funktion entstanden sind. Diese Formen , die jahrhundertelang Meisterwerke der Baukunst schufen - weder Frauenkirche noch Zwinger noch die Boulevardd in Paris sind im Bauhaussinne “funktional” - sind durch herrschende Meinung streng verboten.

    Ziel muss es sein, das Verbot aufzuheben und auch scheinbar nichtfunktionale Formen wiederzuzulassen. Solange dies nicht geschieht, wird die Archikektur sich auch weiterhin im Kreis drehen und uns endlos die tausendfach wiederholten Ergebnisse ihrer durch Verbote stark eingeschränkten Möglichkeiten in Form nackter Kuben, Kisten und Schachteln präsentieren. Und anschliessend den Bürgern erzählen: Das ist brandneu und modern.

    Erst wenn die Verbote aufgehoben werden, wird eine Wiedergeburt, wie es sie schon einmal gab, möglich sein.

  9. lindner
    December 3rd, 2006 14:45
    9

    Also schlimmer geht’s nimmer - da hilft alles schönreden nichts! Generell sollten im Bereich der historischen Innenstadt Flachdächer verboten werden. Wieso baut man nicht im Stil des Geschäftshauses zwischen Kreuzkirche, Rathaus und Schulgasse. Eine schlichte aber ansprechende Architektur, die sich wunderbar in das (teilweise erst noch wiederherzustellende) Gesamtkunstwerk Altstadt einfügt und trotzdem “modern” ist.

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