Q3: Quartier der Beliebigkeit

“Juwel an der Frauenkirche” nennt die Baywobau das von ihr geplante Quartier III (Q3) am Neumarkt. Die Vorstellung der ersten Planungsergebnisse allerdings hatte im Mai d. J. eine heftige Auseinandersetzung vor allem um eine Glas-Stahl-Fassade der Dresdner Architekten Heike Böttcher provoziert, die im Rahmen eines Gutachtverfahrens prämiert worden war. Auf einer im Dresdner Rathaus geführten öffentlichen Podiumsdiskussion hatte der Investor – vertreten durch den innerlich etwas zerrissen wirkenden Bernd Dietze – dann angekündigt, diese und eine weitere strittige Fassade zurückzuziehen. Die Ergebnisse der Überarbeitung können nun auf der Homepage des Baywobau-Projektpartners Cosmo Immobilien GmbH begutachtet werden.

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Fassadenabwicklung Landhausstraße. Download als PDF

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Fassadenabwicklung An der Frauenkirche. Download als PDF

Die Fassadenabwicklungen veranschaulichen das Konzept des Investors, jeweils zwei bis drei ehemals voneinander getrennte Häuser zu einer neuen planerischen Einheit zusammenzufassen. Dabei schien der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Während man etwa beim Haus An der Frauenkirche 19 ein zusätzliches Geschoss einzwängte und so ein zwar an das barocke Vorbild lose angelehntes, aber historisch dennoch haltloses Fassaden- und Dachlandschaftsbild schuf, wurde im Falle von Neumarkt 4 die markante Neorenaissance-Fassade zur Landhausstraße willkürlich durch Spiegelung um 2 Achsen verlängert. Von Rekonstruktion kann so keine Rede mehr sein, was sich in der Planung des Hotel de Saxe bereits abzeichnete, wird hier in gesteigerter Form fortgesetzt: Die Fassade verkommt zusehends zur Attrappe, der funktionelle Zusammenhang zwischen den Außenhüllen und dem Inneren der Gebäude erscheint weitgehend aufgelöst – Wasser auf die Mühlen all jener, die den Neumarkt schon jetzt als “Disneyland” beschimpfen. So sollte es als Glücksfall gewertet werden, dass das Q3 durch den Entwurf von Wörner & Partner (An der Frauenkirche 22) auch eine qualitätvolle zeitgenössische Schauseite erhält – und damit an Bodenständigkeit und Überzeugungskraft gewinnt.

Immerhin: Das Q3 präsentiert sich zumindest zum Neumarkt hin kleinteilig und mit einer differenziert ausgebildeten Dachlandschaft, und trotz der genannten Mängel und Unschlüssigkeiten machen die straßenseitigen Fassadenabwicklungen einen insgesamt runden und stimmigen Eindruck – deutlich stimmiger etwa als die ersten Fassadenabwicklungen für die Töpferstraße (Quartier I). Eine Störung des Platzbildes ist also keinesfalls zu erwarten – ganz im Gegenteil. Dennoch bleibt das Konzept, 5 einzelne Häuser mit insgesamt 12 Fassaden zu versehen, äußerst fragwürdig, vermittelt es doch den Eindruck von Willkür und Beliebigkeit. Dieses Konzept dürfte kaum noch zu verhindern sein – so bleibt zu hoffen, dass die Baywobau zumindest aus ihren handwerklichen Fehlern beim Hotel de Saxe gelernt hat und diesmal auf Haustechnik-bekrönte Flachdächer verzichtet und uns die Peinlichkeit von mit Wärmedämmwolle isolierten Stuckfassaden erspart.

2 Responses to “Q3: Quartier der Beliebigkeit”

  1. Jochen
    August 15th, 2006 14:39
    1

    Danke für den aktuellen Stand.In vielem kann ich der ausgewogenen Argumentation folgen Verstehen kann ich jedoch nicht die Angst vor sogenannten “Attrappen” oder der Beschimpfung als “Disneyland”. Warschau und Danzig sind als “Attrappen” und “Disneyland” so gar Weltkulturerbe geworden. Laßt sie “heulen”. Ich finde es gut, wenn man in den Gebäuden nach heutigem Stand leben kann und trotzdem das Bild der Stadt erhalten bleibt. Ich freue mich nach den Korrekturen auf die Fertigstellung des Quartiers

  2. singa
    August 23rd, 2006 22:19
    2

    Ich kann mich den skeptischen Stimmen nur anschließen. Dietze wird doch vor allem wieder billig bauen bei maximaler Flächenausnutzung, d.h. Betonfertigteile, Flachdächer etc. An einige Fassaden werden wieder Barockfassaden angepappt, mehr oder weniger vorbildgetreu; alles wie bei Quartier IV schon gehabt. Die Füllbauten werden offenbar genauso schlecht wie die meisten dieser Gattung bisher, unpassende Materialwahl, modernistische Sperenzchen wie bunte Fensterscheiben usw. sind zu erwarten. Dazu noch ein gläserner Hofeingang. Da passt nach meiner Meinung nichts so richtig zusammen. Wichtiger als auf möglichst viele “Rekos” zu drängen wäre m.E., ein einheitliches harmonisches Erscheinungsbild anzustreben, zumal die meisten “Rekos” diese Bezeichnung nicht verdienen. Deshalb lieber weniger davon. Die Spiegelung der Eckfassade stört das ursprünglich dort vorhandene kleinteilige Erscheinungsbild und führt dazu, dass eine Gesamtwirkung des Platzes entsteht, die es nie gegeben hat. Alle guten Argumente für echte Rekonstruktionen, die Rückgewinnung geschichtlicher Tiefe, historischer Raumwirkung, traditioneller Baukunst etc. wird ad absurdum geführt. Gerade diese Argumente beruhen auf Fakten, gegenüber subjektiven Empfindungen wie dem Gefühl der “Schönheit”. Was schön ist und was nicht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Und somit leistet Quartier III dem Entzug der Argumentationsbasis der GHND und aller Befürworter eines historischen Erscheinungsbildes Vorschub. Es entsteht eine beliebige Fassadenmischung für alle Geschmäcker, austauschbar, ohne tieferen Bezug. Heute Barock oder Glas, morgen vielleicht Dekonstruktivismus, übermorgen irgendwas anderes… Fassaden als belanglose Insignien der modernen Wegwerfgesellschaft. Genau das und nichts anderes verkörpert Quartier III in einer mustergültigen Weise.

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