Abschied vom historischen Neumarkt

Wie konnte ich nur so naiv sein zu glauben, dass dieser Wettbewerb in der Lage sein würde, ästhetisch hochwertige, dem sensiblen Ort angemessene, städtebaulich einfühlsame Entwürfe zu produzieren?

Ich wollte zumindest nicht von vorneherein ausschließen, dass ein Neumarkt, der durch die Neubebauung des Gewandhausareals zu einer Abfolge kleinerer “Piazetten” umfunktioniert wird, durchaus auch städtebauliche Reize haben könnte. Ich wollte mich nicht krampfhaft an das Vorbild der schwarz-weißen Vorkriegspostkarte heften, sondern trotz meiner Liebe zum historischen Vorbild auch offen für innovative Akzente am Neumarkt sein – sofern sie von Feingefühl und gestalterischem Geschick zeugten.

Doch die Wettbewerbsergebnisse (die Abbildungen zeigen die erst- und zweitplatzierten Entwürfe) lassen keinen Zweifel mehr daran, dass das ursprüngliche Neumarkt-Konzept, wonach die städtebauliche Melodie am Neumarkt von der Frauenkirche dominiert, von den Leitbauten begleitet und von den zeitgenössischen “Füllbauten” in dienender Haltung mitgetragen werden soll, längst passé ist.

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1. Platz – Cheret & Bozic, Stuttgart

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2. Platz – berger röcker architekten, Stuttgart

Obwohl es neben Theaterplatz und Neumarkt keinen weiteren altstädtischen Platz gibt, der eine Ahnung von dem einstigen Glanz der Stadt vermittelt, soll nun auch am Neumarkt die Moderne die erste Geige spielen. Da spielt es keine Rolle mehr, wieviele Leitbauten es am Neumarkt gibt – diese erschreckend banale Kistenarchitektur, egal mit welcher Kunst gefüllt, wird die Harmonie des bisher geschaffenen Ensembles am Neumarkt zerstören und so verhindern, dass Dresden wenigstens in seinem innersten Zentrum so etwas wie “Heilung” erfahren darf. Dresden soll, obwohl bereits von unzähligen städtebaulichen Wirrungen architektonisch zutiefst zerrissen, auch weiterhin eine Stadt der Brüche und Kontraste bleiben – der ausdrückliche politische Wille dazu ist unverkennbar.

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oben: Neumarkt-Modell mit Siegerentwurf (Bildmitte), unten rechts das Johanneum
unten: Historische Kelleranlagen auf dem Areal des alten Gewandhauses, dahinter das Johanneum ( Foto: Dr. Pär Svanborg, Bromma/Schweden)

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Ich bin fassungslos – nicht nur über diese überwiegend erschreckend schlechten Wettbewerbsergebnisse, sondern auch über den Rummel, der um diese Kunstsammlung gemacht wird, von der zurzeit noch niemand so recht weiß, welche Kunst denn dort überhaupt gezeigt werden soll und – noch wichtiger – wer sie denn finanzieren soll. Das Sendungsbewusstein der Quartiersentwickler Prisco & von Döring scheint in alledem keine Grenzen zu kennen. Nachdem die vollmundig angekündigten, exklusiven Shopping-Erlebnisse im “QF” in einer tristen, wenig einladenden Passage endeten, sollen nun modern verpackte Kunst-Erlebnisse folgen. Das Museumskonzept nimmt sich offenbar so wichtig, dass es nicht nur völlig bedenklos das Johanneum (Verkehrsmuseum) ins städtebauliche Abseits rückt, sondern zugleich die wichtigste kulturelle Institution am Neumarkt neben der Frauenkirche meint repräsentieren zu müssen.

Für mich gibt es nur einen Ausweg aus dem Dilemma: Nachdem weder die Investoren, noch der Baubürgermeister, noch die beteiligten Architektenbüros, noch die Wettbewerbsjury Bereitschaft zur Mäßigung haben erkennen lassen – in dem Sinne, dass von weiteren architektonischen Provokationen abgesehen wird –, liegt es nun in der Hand der Dresdner Bürger und ihrer gewählten Vertreter – des Stadtrates – dieses städtebauliche Desaster abzuwenden.

Die Realisierung dieses Wettbewerbsergebnisses würde das Antlitz der Dresdner Innenstadt an seiner wohl empfindlichsten Stelle treffen und dauerhaft entwerten. Soll der Neumarkt als das städtebauliche Gesamtkunstwerk, zu dem er sich bislang zunehmend entwickelt hat, nicht frühzeitig zerstört werden, wird dieses Bauwerk in den üblichen, mühsamen stadtplanerischen Grabenkämpfen verhindert werden müssen.
Wer sich mit den Entwürfen im Detail beschäftigten möchte, findet diese auf der Website der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden.

3 Responses to “Abschied vom historischen Neumarkt”

  1. prat
    May 5th, 2007 19:45
    1

    Wer hätte auch etwas anderes erwartet? Selbstverständlich entsteht dadurch ein spannender Kontrast und der immer wieder tolle Gegensatz zwischen alt und neu. Denn selbstverständlich soll der Neumarkt kein Museum sein, sondern auch zeitgemäße Architektur bieten und dieser Ort verträgt ja auch einen kräftigen neuen Impuls.

    Sprich: Es entsteht der Standard-Kubus der heutigen Zeit, der in derselben Form schon in Essen, Hamburg und Stuttgart herumsteht, nichtsdestoweniger aber das Werk eines Stararchitekten ist und preisgekrönt wird. Schade, daß ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen werde, weil ich künftig wieder nach Prag, Wien, Florenz oder Paris in den Urlaub fahre… vielleicht noch nach Erfurt, aber ganz sicher nicht mehr nach Fessitown.

  2. skat
    May 5th, 2007 20:25
    2

    Wer mag Erdbeeren mit Senf?

    Nach dem ich den Blogeintrag heute gelesen hab, musste ich mir doch mal selbst die Entwürfe in der Ausstellung ansehen.
    Und ich war wirklich negativ überrascht. Alle Entwürfe waren wirklich gleich schlecht. Nur Kisten, Blöcke, Kuben… Nur mal gelb, mal weiß angemalt, mal mit großen Fenstern, mal mit kleinen.

    Solch eine Architektur mag ja vielleicht an der Prager Straße gut passen, ist am Neumarkt aber absolut fehlplaziert. Der Kontrast zur Frauenkirche und den barocken Fassaden ist einfach zu gravierend. Das haben jedenfalls auch die Grafiken und Modelle eindeutig widergegeben. Ich versteh wirklich nicht was sich die Planer und Architekten dabei denken!

    Mir schwärmt, dass nun die Planungen flink und für die Dresdner Bürger untransparent fortgesetzt werden. Wenn das Ding dann erstmal steht, ist das Geschreie groß… Der Dresdner Neumarkt hat seinen Schandfleck, und die Touristen werden auch blöd gucken.

    Dabei wusste doch jeder vorher, dass niemand Erdbeeren mit Senf mag!

  3. Jochen
    May 6th, 2007 12:29
    3

    Ich hab es geahnt. Da sind mal wieder von “Fachleuten” prämierte Entwürfe. Die “Experten” werden sich wieder in Lobhudeleien überbieten. Da ist dann wieder von Niveau und Qualität die Rede, da wird dann einmal “kraftvoll in modernen Formen” gebaut oder “selbstbewußte moderne Bauten” gehen eine “gelungene Symbiose” zwischen Alt und Neu ein. Und all die Anderen, die diese einfallslosen Klötzchen und Kuben nicht annehmen wollen, sind die Banausen und Doofen. Da gibt es einen der wenigen Punkte, wo man, wie es schon gesagt wurde, den alten Glanz Dresdens erahnen könnte, aber diese “Elitetruppe” aus Architekten und Politikern will es gar nicht. Hoffentlich bricht ein Sturm der Entrüstung aus. “Die” können m.E. nicht machen was sie wollen. Feste drauf. Ich wohne leider zu weit im Westen, als daß ich mich daran beteiligen kann.

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