Archive for April, 2007

“Um den Neumarkt ist es geschehen”

Monday, April 30th, 2007 1:35pm

Prof. Ivan Reimann hat am 21. April im Rahmen einer Tagung der Akademie der Künste einen Vortrag zum Thema Rekonstruktion gehalten und dabei eine Bilanz über das bisherige Baugeschehen am Neumarkt gezogen. Prof. Reimann ist Lehrstuhlinhaber für Öffentliche Bauten an der TU Dresden, Fakultät Architektur.

Besonders interessant erscheinen die Ausführungen Reimanns zum Wesen der modernen Architektur, die per se die Nutzung des historischen Formenkanons ausschließe und daher immer störend wirken müsse: “Eine der Grundprämissen der Moderne ist die der Diskontinuität, des Bruchs mit dem Vorausgegangenen.” Folgt man dieser architekturtheoretischen Argumentationskette, so hatte der Architekt beim nachfolgend abgebildetem Gebäude gar keine andere Wahl als das – für sich betrachtet sehr elegante – Gebäude vis á vis der Frauenkirche mit einem Staffeldach zu versehen, welches den Bau als einen Fremdkörper im Ensemble wirken lassen muss; der Entwurf hätte sonst dem Anspruch, „moderne“ Architektur verkörpern zu wollen, nicht genügt.

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Es erklärt sich auf diesem Wege auch, warum bei Gutachterverfahren – etwa für all jene modern zu gestaltenden Fassaden, die sich am Neumarkt zwischen die rekonstruierten Fassaden einfügen sollen –, zumeist ausgerechnet jene Entwürfe prämiert werden, die für die größte Empörung in der Öffentlichkeit sorgen. Würde sich die prämierte Architektur harmonisch und bruchfrei in die jeweilige Gebäudeabfolge einreihen, könnte sie den architekturtheoretischen Forderungen an ein „modernes“ Gebäude gar nicht genügen. Und weil am Neumarkt schon mehrfach prämierte moderne Architekturen auf Druck der Öffentlichkeit zurückgezogen werden mussten, kann Prof. Reimann auch davon sprechen, dass die Moderne am Neumarkt ein „Opfer“ geworden sei – und zwar genau jener Entwicklungen, die sie geholfen hat in Gang zu setzen.

Sein Fazit im Hinblick auf den Neumarkt formuliert Reimann schließlich wie folgt:

“Die wundersame Auferstehung des Dresdner Neumarktes als eines Nicht-Ortes, als einer Shoppingmall mit Restaurant- und Hotelanschluß, deren Mitte nicht von einem Denkmal, sondern von einem Tiefgaragenausgang markiert wird, die als historische Kulisse bestaunt und konsumiert wird, ist ein Ergebnis der Globalisierung und nicht Dresdner Provinzialismus. Seine Nostalgie wurde hier bloß instrumentalisiert. Der Wideraufbau des Neumarkts ist, so gesehen, ein wahrlich modernes, gar ein futuristisches Projekt. Ein Projekt, das uns aufzeigt – ob es uns gefällt oder nicht – wo die Architekturerwartungen der Öffentlichkeit liegen und wohin sich die Entwicklung der Architektur bewegt. Diese Entwicklung durch bessere, substanzielle Architektur erfolgreich zu bekämpfen, erscheint mir genauso vergeblich, wie mit Austausch von Glühbirnen den Klimawandel besiegen zu wollen.”

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(Das Bild zeigt die im Bau befindlichen Häuser Rampische Str. 16 + 17, die als Rekonstruktionen im weitergehenden Sinne verstanden werden können, also nicht nur im Hinblick auf die Fassaden- sondern auch auf die Grundrissgestaltung, die Materialwahl sowie die Ausbildung von Innenhöfen sowie einer differenzierten Dachlandschaft.)

Reimanns Kernaussagen sind dem Vortrag als Thesensammlung angefügt; wer die Abhandlung im Ganzen nachlesen möchte, kann diese hier als PDF herunterladen. Hier die Thesen im Überblick:

1. “Es ist nicht richtig, dass die Bebauung des Neumarkts unmodern sei. Im Gegenteil: das heutige Erscheinungsbild des Neumarkts ist ein direkter Ausdruck unserer Zeit - so wie sie ist und nicht so, wie sie Architekten haben möchten.”

2. “Das, was wir, mit allen dazugehörigen moralischen Ansprüchen, moderne Architektur nennen, ist am Neumarkt zum Opfer jener gesellschaftlicher Entwicklungen geworden, die sie geholfen hat in Gang zu setzen und die sich der Moderne in anderen Situationen bedienen.”

3. “Moderne Architektursprache, die auf der Ablehnung des historischen Formenkanons basiert, wird dort, wo der Widerspruch nicht angebracht ist, den sie bewusst sucht und in ihr Selbstverständnis integriert hat, immer störend wirken müssen. Das Problem ist nicht lösbar, weil wir über keine andere authentische Sprache verfügen.”

4. “Wo Kontinuität unmöglich geworden ist, könnte nur das Überzeitliche eine gemeinsame Grundlage historischer und moderner Architektur bilden. Das Überzeitliche manifestiert sich in archetypischen Themen und Grundmustern, die einzelnen durch die Zeit ihrer Entstehung bedingten Bauwerken zu Grunde liegen.”

5. “Die Typologie und Charakter neuer Programme und Nutzungen stehen in einem fundamentalen Widerspruch zu historischer Typologie und Parzellierung, sie machen ihre Anwendung unmöglich und verwandeln, sofern man sie nicht direkt zum Ausdruck bringen will, Architektur zu bloßer Verpackung.”

6. “Das heutige Erscheinungsbild des Neumarkts ist das Ergebnis globaler wirtschaftlicher und kultureller Entwicklungen, die durch Architektur nicht umzukehren sind.”

7. “Um den Neumarkt ist es geschehen. Eine etwas andere Melange vorgeblendeter Fassaden wird seinen Charakter nicht wesentlich ändern können. Eine radikal moderne Architektur am Neumarkt würde sein heutiges Erscheinungsbild zerstören, sein Dasein als ein ‘Nicht-Ort’ jedoch nicht ändern können.”

Klimawandel und Städtebau

Monday, April 30th, 2007 11:27am

Dass der Klimawandel sich bereits vollzieht und nicht erst bevorsteht, bekommt nicht nur Dresden in diesen Wochen deutlich zu spüren. Ein viel zu kurzer und viel zu milder Winter, ein von Niederschlägen nahezu völlig freier April, dazu hochsommerliche Temperaturen im Frühling – die Folgen des Treibhauseffekts beginnen sich abzuzeichnen. Der Elbe droht Niedrigwasser, der Pegelstand verliert derzeit pro Woche rund 30 Zentimeter. Sicherlich kein Grund zur Panik, wohl aber ein Anlass, nach möglichen Konsequenzen für die weitere städtebauliche Entwicklung Dresdens zu fragen.
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Denn Vorausberechnungen für die klimatische Entwicklung Dresdens haben ergeben, dass der Landeshauptstadt deutlich gestiegene Durchschnittstemperaturen bevorstehen, verbunden mit einem Rückgang der jährlichen Niederschlagsmenge um ein knappes Drittel (!) bis zum Jahr 2100 und extremen Hitzeperioden im Sommer. Die sommerliche Hitze wird zweifellos auch Auswirkungen auf eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine Dresdens haben – den Tourismus. Dann wird es rund um Dresdens Touristenziel Nr. 1, die Frauenkirche mit dem sie umgebenden Neumarkt, im Freien kaum auszuhalten sein – jedenfalls dann nicht, wenn nicht rechtzeitig damit begonnen wird, auch innerhalb der neu entstehenden Altstadt ein durchdachtes Grünflächenkonzept zu entwickeln: Die Stadt wird auf ein Netz von Schatten spendenen Grünflächen, in denen Bewohner wie Besucher der Stadt Zuflucht vor der Hitze finden können, kaum verzichten können.

Die einzige Baumgruppe, die vor dem Krieg dem Neumarkt-Besucher einen Ort zum Verweilen bot, war der Georg-Treu-Platz – ausgerechnet dieser ist durch den Anbau an das Coselpalais nun verbaut. Und die Fläche des ehemaligen “Hotel Stadt Rom” – zunächst zur Pflanzung einer Baumgruppe vorgesehen, die den Platz nach Süden abschließen sollte – soll nun doch zum Verkauf zwecks Wiederbebauung ausgeschrieben werden. So bleibt es dabei, dass das hier abgebildete, frisch gepflanzte Bäumchen an der Moritzgasse vorerst das einzige Grünelement am Neumarkt bleiben wird:

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Will Dresden seine Innenstadtquartiere auch für die kommende Heißzeit attraktiv machen, sollte darüber nachgedacht werden, ob z.B. der historische, gänzlich unbegrünte Zustand des unmittelbaren Umfelds der Frauenkirche für die heutige Situation wirklich noch maßstabgebend sein kann.

Die Baumpflanzungen auf dem Vorplatz des Neustädter Bahnhofs samt neu gestalteter Wasserspiele weisen da auf jeden Fall in die richtige Richtung:
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Schlechte Informationspolitik

Friday, April 20th, 2007 10:44am

Was mich bei vielen sensiblen Bauvorhaben im Dresdner Zentrum stört, ist die allgemein schlechte Informationspolitik im Vorfeld seitens der Bauherren und der Stadtplanung, bei der ich mich immer wieder frage, ob sie eher unbewusst oder ganz bewusst geschieht. Denn wenn man einmal von den Dauerstreitobjekten wie Neumarkt und Waldschlösschenbrücke absieht, die fast täglich im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen, tauchen fast überall Fragezeichen auf, wo es um Neu- und Umbauvorhaben im Dresdner Zentrum geht.

Wer wusste z.B. vor Sanierungsbeginn, wie die alten Plattenbauzeilen an der St. Petersburger Straße (”Carolinum”) nach der nunmehr fast abgeschlossenen Sanierung aussehen würden? Außer einigen Zahlen und allgemeinen Infos zu Investitionssumme, voraussichtlicher Dauer der Baumaßnahme etc. war seitens der WOBA nicht viel zu erfahren. Ein anderes Beispiel: Ich bemühe mich seit vielen Wochen erfolglos darum, aussagekräftige Visualisierungen über die zu sanierende Plattenzeile an der Prager Straße zu erhalten – schließlich handelt es sich hier um ein Bauwerk von geradezu monumentalen Dimensionen, welches unübersehbare Akzente im Stadtbild setzen wird. Zwar haben die beauftragten Architekten Knerer & Lang einige Visualisierungen auf ihrer website hinterlegt, auf Nachfrage wurde mir jedoch mitgeteilt, dass eine anderweitige Veröffentlichung dieser Grafiken aufgrund der restriktiven Informationspolitik des Bauherren nicht erwünscht sei. Die WOBA wiederum teilte auf Anfrage mit, dass noch keine Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Objekt initiiert sei.

Nehmen wir als weiteren Fall die neue Zentralhaltestelle der Verkehrsbetriebe am Postplatz. Mehr als einige mickrige, jämmerlich schwach aufgelöste Modellfotos waren auf der Homepage der Landeshauptstadt Dresden im Vorfeld der Realisierung nicht zu finden – und das obwohl die Stadtplanung ausdrücklich damit wirbt, nicht realisierte städtebauliche Projekte mittels 3D-Modell aussagekräftig visualisieren zu können.

Mein Eindruck ist, dass die Angst von Bauherren und Stadtplanern aufgrund der Streiterfahrungen z.B. bei Neumarkt und Waldschlösschenbrücke mittlerweile so groß ist, dass aussagekräftige Visualisierungen bewusst zurückgehalten werden und – wenn überhaupt – nur an dezentralen, wenig bekannten Ausstellungsorten aus- oder zur Einsicht bereitgestellt werden. Hinzu kommt, dass Visualisierungen häufig so reduziert oder vergröbert angefertigt werden, dass eine realistische Einschätzung der künftigen Wirkung im Stadtbild kaum möglich ist. Wo z.B. gibt es eine Visualisierung des künftigen Altmarktes aus der z.B. die Materialwirkung des künftigen Bodenbelages ersichtlich würde?

Freilich gibt es auch löbliche Ausnahmen, wo Bauherren und/oder Architekturbüros schnell und unkompliziert die erbetenen Infos bereitstellen – so oder so ist aber in den meisten Fällen ein erheblicher Recherche-Aufwand vonnöten, um einen tieferen Einblick in die geplanten Projekte zu erhalten.

Ein weiteres, hochaktuelles Beispiel ist der Wilsdruffer Kubus. Ein öffentlicher Aufschrei der Empörung nach dessen Fertigstellung ist schon jetzt so gut wie sicher. Denn direkt gegenüber vom Zwinger wird ein austauschbares, gestalterisch völlig unambitioniertes Büroensemble entstehen, über das man sich in Dresden vermutlich genauso empören wird wie seinerzeit über das gläserne “Schmetterlingsdach” der Zentralhaltestelle – wobei letzteres wenigstens noch eine gewisses Maß an gestalterischer Innovation aufwies (wenn auch leicht deplatziert wirkend). Zurzeit ist eine Visualisierung des Wilsdruffer Kubus im Umlauf, die mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet:

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Was ist z.B. aus der sandsteinernen Gebäudehülle geworden, die der “angenehm richtungslosen” Fassade (so die Jury) im Ursprungsentwurf wenigstens einen Hauch von Wärme verlieh? Wird der Bau nun in einem gebrochenen Weiß realisiert, oder wird er gar hellgrau gestrichen? Wie darf man sich die Wirkung dieses kantigen Gebäudes von der Wilsdruffer Straße blickend vorstellen? Fragen über Fragen. Als ich gestern von Dresden-Kenner Thomas Kantschew (Das Neue Dresden) auf die nicht-prämierten Entwürfe des Dresdner Architekturbüros Rohdecan hingewiesen wurde, versank ich abermals in tiefer Ratlosigkeit: Diese Entwürfe zeigen einen zwar ebenfalls recht streng wirkenden, insgesamt jedoch wesentlich detailfreudiger gestalteten – und damit m.E. besser in das künftige Postplatz-Ensemble passenden – Gebäudekomplex:

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Warum setzt man direkt neben das ornamentale Feuerwerk des Zwingers bewusst den detailärmsten aller eingereichten Entwürfe? Warum wird die Geschichte dieses Ortes, die immer auch eine Geschichte des Ornaments war, so bewusst negiert? Ich behaupte, dass selbst ein sanierter und in den Originalzustand zurückversetzter “Fresswürfel” mehr gestalterische Kraft gehabt hätte als die wortgewaltig prämierte Langeweile dieses Kubus. Und ich bin mir eigentlich fast sicher, dass die Herren in der Stadtplanung und den Wettbewerbsjuries genau wissen, dass sie mit derartigen Wettbewerbsentscheidungen zwar die von ihnen gelernten und an den Universitäten treu konservierten Bauhaus-Dogmen bewahren, letztlich aber ein ums andere Mal einer Architektur den Weg bahnen, die von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird. Und genau das hat der Postplatz als einer der wichtigsten innerstädtischen, öffentlichen Plätze Dresdens nicht verdient.

Gewiss, je mehr Information über ein Projekt an die Öffentlichkeit gerät, umso mehr Diskussion ist dem Projekt sicher. Und Diskussionen machen die Realisierung eines Projekts – gerade in Dresden – nicht immer leichter. Doch wir haben es im Fall der Dresdner Innenstadt mit einer der ehemals kostbarsten und kulturell reichsten Stadtzentren Deutschlands zu tun, die nach wie vor in weiten Teilen brach liegt und auf eine Neuausformung wartet. Nachdem die städtebaulichen Weichen für die Innenstadt längst gestellt sind und nicht mehr debattiert werden müssen – das trifft z.B. auf den Bebauungsplan für den Postplatz nach Joachim Schürmann zu – haben es die einzelnen Bauvorhaben durchaus verdient, in der Öffentlichkeit detailliert und aussagekräftig vorgestellt und diskutiert zu werden.

Ich möchte alle Leser, die mit der Vorab-Informationspolitik seitens Stadtplanung und Bauherren (z.B. WOBA, TLG) nicht einverstanden sind, sehr darum bitten, diesen Beitrag zahlreich zu kommentieren. Ich werde ihn dann an die Ansprechpartner für Öffentlichkeitsarbeit in den entsprechenden Büros bzw. Ämtern weiterleiten.

Bildnachweis (v.o.n.u.): TLG Immobilien, Rohdecan Architekten