Archive for July, 2006

Das Hotel de Saxe

Thursday, July 06th, 2006 3:00pm

In unverändert hohem Tempo schreitet die Bebauung der Neumarkt-Quartiere I (Prisco) und II (VVK zu Dresden) voran. Da liegt es nahe, auch einen Blick auf das bereits im April d. J. fertig gestellte Quartier IV – das sog. „Hotel de Saxe“ – zu werfen, das von der Baywobau Dresden gebaut, von der Immobiliengesellschaft TLG erworben und von der Steigenberger-Kette zum Betrieb als 4-Sterne-Hotel gepachtet wurde.

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Das Hotel de Saxe stellt keine Rekonstruktion in engerem Sinne dar. Im Falles des „Q IV“ sind mehrere, nach außen hin voneinander abgegrenzt erscheinende Gebäude in einem übergreifenden Hotelkomplex zusammengefasst worden; lediglich im Erd- und ersten Obergeschoss liegen abweichende Nutzungen im Form von Gastronomie und Boutiquen vor. Die Fassaden des schlicht-eleganten Hotel de Saxe (bereits 1888 abgerissen), der mit einer Figur von König Salomo geschmückten „Salomonisapotheke“ (im Bild oben links) sowie der mit filigranen Rokoko-Elementen verzierten Landhausstraße 1 wurden nach historischem Vorbild rekonstruiert, während für die übrigen Fassaden ein Wettbewerb eingeleitet wurde.

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Die historischen Grundrisse der fassadenrekonstruierten Gebäude blieben unberücksichtigt; auch die Dachlandschaft wurde erheblich kompromittiert, indem die Gebäude lediglich zur Straßenseite hin Mansarddächer erhielten. Letztere wurden zum Innenhof als leicht geneigte Flachdächer verlängert, die leider auch noch von diversen Haustechnik-Aufbauten bekrönt werden. Ein weiterer Wermutstropfen: Anstatt die in Beton ausgeführten Rohbauten der rekonstruierten Gebäude mit Ziegelmauerwerk zu verkleiden, wie es bei den Quartieren I und II der Fall ist, erhielt der gesamte Komplex einen modernen Wärmedämmschutz, der spätestens beim Klopfen auf die massiv wirkenden Fassaden für Stirnrunzeln sorgen dürfte.

Obwohl die neu geschaffenen Barock- und Rokoko-Fassaden ohne jeden Zweifel einen erheblichen Anteil an der zurückgewonnenen Schönheit des Neumarktes haben, fragt man sich als kritischer Beobachter, was von Gebäuden zu halten ist, die sich zwar nach außen hin historisch präsentieren, dabei aber nicht einmal eine massive Fassade vorweisen können. Dass wir heute keine Eichenholz-Balken mehr mit Dielen belegen, sondern die Decken der einzelnen Geschosse in Stahlbeton gießen, versteht sich von selbst. Wenn allerdings hinter Stukkaturen moderne Wärmedämmelemente verbaut sind – ist da nicht etwas aus dem Lot geraten?

Ich für meinen Teil bin daher geradezu erleichtert, dass das Quartier IV von zwei sehr qualitätvollen, betont modernen Architekturen bereichert wird – einem Entwurf von Wörner & Partner für das über der Einfahrt zur zentralen Tiefgarage gelegene Gebäude zur Landhausstraße (auf dem nachfolgenden Bild in der Mitte) sowie einem Entwurf des Dresdner Architekten Peter Zirkel für den Abschluss des Hotelkomplexes zur Moritzstraße hin. Beide Entwürfe sind, wie weiter oben bereits erwähnt, per Gutachterverfahren zur Ausführung gelangt.

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Diese Architekturen machen klar: Der „neue“ Neumarkt ist nicht nur Spiegel des Gewesenen, Zitat vergangenen Bau- und Kunstschaffens, sondern auch kreativer Ausdruck des 21. Jahrhunderts. Hier sind zwei Gebäude, unmissverständlich Produkte der Gegenwart, nicht „auf alt gemacht“, trotzdem ins Ensemble passend. Gerade weil es so viel unerträglich langweilige, banale, sinnlos jede Ästhetik verneinende moderne Architektur gibt, begeistern mich Bauten wie diese. Nicht die provokative Herbeiführung stilistischer Brüche, nicht egozentrisches sich-in-den-Mittelpunkt-rücken-Wollen bilden die Motivation für diese Entwürfe, sondern der Wunsch, den Neumarkt auf ästhetisch befriedigende Weise als das anschaulich zu machen, was er ist: eine Schnittstelle zwischen gestern und heute, eine Vermittlung von Gewesenem und neu Geschaffenem.

Das von Wörner & Partner entworfene Gebäude (auf dem nachfolgenden Bild rechts, links davon die Landhausstraße 1) gefällt durch seine warm abgetönte, helle Farbgebung, die vertikale Sprossung und das stehende Format der Fenster, die Variation der Abstände zwischen den einzelnen Fenstern, die aus Sandstein gefertigten Fenstergewände, die französischen Balkone und nicht zuletzt durch die Gelassenheit, mit der es die überbreite Gebäudeöffnung im Erdgeschoss hinnimmt. Kritikwürdig erscheinen einzig die etwas überdimensionierten Dachgauben, die den – ansonsten mit viel Liebe zum Detail gearbeiteten – Entwurf im Dachbereich etwas vergröbert wirken lassen. Alles in allem handelt es sich aus meiner Sicht um ein sehr elegantes, mit den benachbarten Fassadenrekonstruktionen sehr gut harmonierendes Gebäude. Welchen Sinn hätte eine barock gestaltete Fassade über einer modernen Tiefgarageneinfahrt gemacht…?

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Beim Entwurf von Peter Zirkel (Moritzstraße) fallen vor allem die flächige Sandsteinverkleidung des Gebäudes sowie die horizontal verschiebbaren Sichtschutzelemente aus orangefarbenem Gussglas auf:

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Auf der Homepage des Architekten ist dazu zu lesen: „Die vorgemauerte Schale aus Sandstein wird als Eckbetonung des gesamten Gebäudes 12 cm weit aus der normalen Flucht heraus- gestellt. Die Traufe des Daches liegt, infolge des Vorspringens der Fassade, dahinter, trotzdem wirkt das Dach als verbindende Einheit beider Gebäudeteile. Aufgrund dessen tritt der Neubau nicht als eigenständige Parzelle in den Vordergrund, sondern schließt das Hotel, trotz moderner Architektursprache, harmonisch ab. Großformatige Fenster stehen im Kontrast zu den relativ kleinen Fenstern des Hauptgebäudes, nehmen aber deren Proportionen wieder auf. Anstelle von Faschen aus Sandstein ist pulverbeschichteter Stahl gewählt, der den Fenstern Präzision und Tiefe verleiht. In diese Faschen eingelegt sind farbige Gussglaselemente, die verschieblich angeordnet, als Sichtschutz zu den bestehenden Bauten aus den 50er Jahren dienen. Im geöffneten Zustand reduzieren sie die Blendung, geben dem Raum ein warmes Licht und leuchten die Zimmer großzügig aus.“ Ich meine: Trotz des deutlichen formensprachlichen Kontrasts zur benachbarten, historischen Hotelfassade ist dieser Bau kein Fremdkörper! Das Foto zeigt sehr schön, wie der Bau sich v.a. aufgrund der Proportionierung der Fassade und der Materialwahl harmonisch in seine gebaute Umgebung einfügt.

Fazit: Entwürfe wie die von Wörner & Partner sowie Peter Zirkel sind keinesfalls „notwendige Übel“, sie sind keine „faulen Kompromisse“, um deren Preis die rekonstruierten Gebäude der modernistischen „Fraktion“ gleichsam „abgekauft“ worden sind. Für mich stellen sie eine echte Bereicherung, einen wichtigen Akzent im wieder erstehenden Platzbild dar. Sie sind kreativer Ausdruck unserer Zeit, sie ergänzen die gestalterische Sprache der historischen Gebäude und verhindern genau das, was dem Projekt „Neumarkt“ immer wieder vorgehalten wurde: eine Inszenierung, ein „Freilichtmuseum“, ein „Disneyland“ gar zu sein. Mit einer anspruchsvollen Mixtur moderner und historischer Bauformen, wie wir sie hier vorgeführt bekommen, wird das Projekt „Neumarkt“ nicht scheitern, sondern gelingen!

Am “QF” fallen die letzten Gerüste

Monday, July 03rd, 2006 11:20am

“Altes fest bewahrt in Treue, und freundlich aufgefasst das Neue!” – so steht es über dem Portal des in den Jahren 1911-1913 in direkter Nachbarschaft des Dresdner Zwingers errichteten Schauspielhauses geschrieben. Ein schöner Ausspruch – und bestens geeignet, um dem mitten im Wiederaufbau befindlichen Neumarkt als Leitsatz zu dienen!

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Nahezu gerüstfrei präsentiert sich nun das “Quartier an der Frauenkirche”, und meine Begeisterung über die Schönheit und Perfektion der miteinander bestens harmonierenden Bauten ist ungebrochen. Seit Samstag können Besucher des Neumarkts neben dem “Erdmannsdorfschen Haus” und dem “Hotel Stadt Berlin” (links) nun auch das “Weigelsche Haus” (Mitte) und den “Goldenen Ring” (rechts) unverhüllt bewundern.

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Dass die rekonstruierten Barockbauten sich perfekt ins vorhandene Stadtbild integrieren würden, stand für mich nie zur Debatte – gleichsam als “Spätheimkehrer” sind diese Häuser an ihren angestammten Ort, der ihnen von der Geschichte dankenswerterweise freigehalten wurde, zurückgekehrt.

Mit umso größerer Spannung habe ich der Enthüllung der modern interpretierten Gebäude entgegengefiebert, insbesondere dem Gebäude An der Frauenkirche 1, dessen noble und sehr elegant gegliederte Fassade mich schon im Modell begeistert hat:

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Entstanden ist ein Bau, der mich durch ein enormes Maß an Kreativität und Liebe zum Detail beeindruckt – etwas, was ich bei viel zu vielen Vertretern moderner Architektur so schmerzlich vermisse! Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Materialwahl beim Dachgesims, den Fenstergewänden und den schmalen Bändern, welche die einzelnen Gewände miteinander verbinden: Das Material reflektiert die Hell-Dunkel-Kontraste des Sandsteins der Frauenkirche und setzt die beiden Gebäude so stimmungsvoll in Beziehung. Klasse! Die vertikale Gliederung des Baus, das ausgewogene Verhältnis von Mauerwerk und Fensterfläche, das ziegelgedeckte Mansarddach und die eleganten Dachgauben tun ein übriges, um den Bau mit den nach historischem Vorbild rekonstruierten Gebäuden vorzüglich harmonieren zu lassen:

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Es bleibt die Frage, was man von den gläsernen Staffelgeschossen zwei Häuser weiter halten soll. Auch dieses Gebäude präsentiert sich mittlerweile gerüstfrei. Zu loben ist in jedem Falle, dass die Metallbänder, welche die gläserne Dachlandschaft horizontal gliedern, nicht in weiß (siehe den Ursprungsentwurf), sondern in einem dunklen Rotbraun ausgeführt wurden. Dadurch wird das Gebäude in jedem Falle farblich besser in das Gesamtensemble integriert.
Dass es sich bei diesem, vom Büro Wörner & Partner entworfenen Gebäude um eine sehr elegante, ästhetisch anspruchsvolle Architektur handelt, kann kaum bezweifelt werden. Aufgrund der gläsernen Staffelgeschosse bekommt der Bau allerdings eine gewisse Solitärstellung im Quartier. Ein gläsernes Mansarddach wäre an dieser Stelle sicherlich die gefälligere Lösung gewesen. Dennoch meine ich: Gemäß dem oben aufgeführten Motto – “Altes fest bewahrt in Treue, und freundlich aufgefasst das Neue!” – sollte dieses Gebäude wohlwollend empfangen werden. Bislang hat es in Dresden noch jede Architektur, die mit etablierten Gestaltungsmustern brach, schwer gehabt. Ob eine “Tabakmoschee” á la Yenidze, eine “Zitronenpresse” á la Kunstakademie oder die großen Ministerialbauten am Neustädter Elbufer: Gebäude, die aus heutiger Sicht untrennbar mit dem Dresdner Stadtbild verbunden sind, sind zu ihrer Entstehungszeit heftigst angegriffen und kritisiert worden. Geben wir also diesem – durchaus unkonventionellen – Neubau eine Chance!
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Zum Schluss ein Ausblick auf die Vollendung des Kopfbaus zum Fürstenzug hin. Nachdem sich die ursprünglichen Wettbewerbsergebnisse für die Töpferstraße 2 als viel zu wuchtig und daher für das sensible Eingangstor zum Neumarkt absolut ungeeignet erwiesen hatten, entwickelten sich die Pläne für dieses Gebäude auf höchst erfreuliche Weise weiter. Bei so vielen Überarbeitungsschritten konnte man den Eindruck gewinnen, dass hier wirklich um eine so qualitätvolle und dem städtebaulichen Rahmen so angemessene Architektur wie nur möglich gerungen wird. Zuletzt bereitete mir nur noch die Frage um die künftige Farbgebung Unbehagen: Mit dem Gedanken an ein weiteres reinweißes oder grau abgetöntes Gebäude mochte ich mich ganz und gar nicht anfreunden! Umso erfreuter war ich heute morgen, als ich unterhalb des Dachgesimses erste Farbtupfer entdecken konnte: Offenbar darf nun mit einem dezenten Braunton gerechnet werden.
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